Der Übergang zum Choralthema exponiert
wieder das Sündenfall-Motiv vom Anfang, nun in Umkehrung
und über ansteigender Chromatik, mithin deutbar als Versuch,
der Sünde zu widerstehen. Die aufmüpfige Klarinette
sitzt allerdings auf wie die reinste Hoffärtigkeit. Das
Choralthema (ÜP: 169 / SC: 155) symbolisiert angesichts
all dessen sicher die Auferstehung (E-Dur), denn in der Tat
kehrt der von Bruckner ausdrücklich „Abschied vom
Leben“ genannte Tubenchoral aus dem Adagio (T. 29ff) hier
glorreich wieder. Der Violin-Begleitrhythmus aus dem triolischen
„non confundar“-Kern des Hauptthemas im ersten Satz
verheißt zusätzlich Zuversicht – angesichts
der Gipfelartigkeit der Erscheinung vielleicht eine Allusion
an die Inhalte der Bergpredigt oder Moses am Berg der Erkenntnis?
Die Bibel kennt viele solcher Szenen. Der Ausgang des Chorals
stürzt jedoch wieder in Resignation zurück, so als
ob angesichts des Todes selbst der Glaube nicht weiterhelfen
kann (,Passus duriusculus‘; Oktav-Abstürze).
Der Beginn des zweiten Teils (ÜP: 221 / SC: 207) bildet
ein sehr langes Verharren in Erstarrung (Orgelpunkt). Trostlos
ruft die Oboe in Ganzen „Christ ist erstanden“,
wie der einsame Rufer in der Wüste. Eine regelrechte Agonie
des Schmerzes und der Trauer wird hier musikalisch erzeugt (,Passus
duriusculus‘; die Leere des Te-Deum-Ostinato). Selbst
der vormals hoffnungsvolle Violin-Rhythmus verkümmert zur
unablässig gemurmelten Seufzer-Figur ,e-dis‘. Genau
so ein Zustand ist am anfälligsten für die Versuchung
– neuer Auftritt des Sündenfall-Motivs vom Satzbeginn,
zunächst nur als Rhythmus, später immer deutlicher
in der ursprünglichen Abwärts-Prägung (Oboe),
schließlich in einer vollständigen Aufnahme der Eröffnungs-Sequenz
des Satzes in acht Takten, aber mit dem Motiv zugleich Aufwärts
und Abwärts sowie in Imitation (ÜP: 256 / SC: 242).
Danach folgt ein zweiter Anlauf (erneuter Beginn des Ostinato),
und die Musik sammelt langsam wieder Zuversicht (Te-Deum-Motiv
mit Climax in Ges-Dur, also enharmonisch das Fis-Dur Christi;
ÜP: 277 / SC: 263). Die Versuchung tritt erneut und nun
noch nachdrücklicher als zuvor auf, läuft aber dann
abrupt ins Leere und löst sich schließlich auf. Dies
ist übrigens eine strukturelle Parallele zum Kopfsatz,
wo zwei Aufrufe des Hornthemas vom Satzbeginn (T. 19ff) im vollen
Blech auf zwei Episoden folgen, die dort allerdings aus dem
Anfangsthema des Satzes gebildet waren. Ebenfalls folgt hier
wie dort eine vermittelnde, neue Episode, nunmehr in e-moll
(ÜP: 291 / SC: 277), hindeutend auf die Gesangsperiode,
in melodischer Umkehrung: Die ,walking basses‘ im Pizzicato
(wie im Kopfsatz an gleicher Stelle die zupfenden Tutti-Streicher)
suggerieren einerseits im Fortgehen eine gewisse Zuversicht,
aber chromatisch fortschreitende Harmonik und verquere Melodie-Sprünge
deuten zugleich darauf hin, daß der eingeschlagene Pfad
trügerisch bleibt. Das anschließende Wieder-Aufgreifen
des ,lyrischen Kontrapunkts‘ aus der Gesangsperiode wirkt
wie eine besänftigende Rückbesinnung (ÜP: 299
( SC: 285), gefolgt von einem kurzen Gebet im signifikanten
As-Dur (s. oben), doch auch einem ,Memento Mori‘ in Gestalt
des aufbegehrenden Anstiegs mit der brutalen Trompetenfanfare
auf der Tonika. Wieder steckt im wahrsten Wortsinn der Teufel
im Detail, nämlich hier in der Tritonus-Spannung ,As-d‘
auf engem Raum...
Die Fuge wäre nach barocker Semantik Sinnbild für
das Walten höchster göttlicher Ordnung. Die metrisch
viertaktig geregelte, aber fünfteilige Exposition des abgeleiteten
Finalethemas wirkt fest gefügt, ist aber zugleich von Abspaltungen
des Sündenfall-Motivs in den Holzbläsern begleitet
(ÜP: 311 / SC: 297). Dem folgt antithetisch in der Durchführung
das Prinzip ,Anfechtung der Ordnung‘, nämlich in
Gestalt von zwei Teilen mit unregelmäßiger Metrik
und in ,sündiger‘ Harmonik (verminderte Akkorde;
Tritonus-Spannungen). Der dreigliedrige Höhepunkt der Fuge
in dreimal drei Takten und absteigenden Terzen äußerst
sich nach all diesen Zweifeln als Durchsetzung des göttlichen
Prinzips, als musikalisch höchst-mögliche Anrufung
der Dreifaltigkeit, aber in einer grimmigen Unentrinnbarkeit
von cis-, b- und fis-moll (ÜP: 352 / SC: 342). Der Fugen-Epilog
bedeutet vielleicht das Wieder-Aufnehmen eines unbeirrbaren
Weges (Bässe), zunächst beständig auf dem Orgelpunkt
,As‘, in den Celli beschwörend das „non confundar
in aeternum“ murmelnd. Dazu wird das Finale-Thema (Klarinetten,
Violen) unablässig fortgeleiert – fast wie eine Gebetsmühle
(ÜP: 365 / SC: 351).