Hier, im Finale, folgt aber nun nicht der Zweifel
am Kreuz wie im Adagio, sondern nunmehr die königliche
D-Dur-Bekräftigung des Christus-Chorals, die Te-Deum-Figur
der Streicher überlagernd (ÜP: 509 / SC: 495). Zusätzlich
folgt dem Statement des Choralbeginns selbst das, was hier auch
semantisch folgerichtig ist, nämlich „Umkehr zum
Heil“ – in diesem Fall die von John Phillips mustergültig
aufgezeigte, genaue harmonische Umkehrung des Choralthemas in
den Holzbläsern und hohen Streichern, quasi hinauf zum
Licht. Zugleich verläuft die Form umgekehrt zur Exposition
(dort A-B-A´; hier A–A´inv–B´inv).
Ihm folgt zusätzlich eine Wiederholung des Ces-Dur-Streicherchorals
aus der Reprise des Gesangsthemas, durch Augmentation von Halben
zu Ganzen auf acht Takte vergrößert (vergl. auch
weiter unten). Die Musik kann sich nun sogar leisten, regelrecht
spielerisch zu werden, doch zugleich höchst kunstvoll –
nämlich in der verwickelten Mehrfach-Imitation des Triolenmotivs
in den Streichergruppen, zu denen sich das Zitat des „lumen
de lumine“ aus der d-moll-Messe (Trompeten) gesellt (ÜP:
537 / SC: 523).
Die Wiederkehr des „non confundar“-Triolenthemas
in Ges-Dur (ÜP: 553 / SC: 539) bildet eine formale Klammer
mit dem Fugenepilog und eine wiederholende Sicherstellung, zugleich
aber – darauf deuten die Repetitionen des Tonika-Leittons
,Cis‘ in den Streichern – eine Intensivierung des
Triolenkerns aus dem Hauptthema, zu der die Aufführungsfassung
motivisch passend im Baß stets den Themenkopf mit dem
Oktavsprung ergänzt hat. Das Epilogthema entpuppt sich
also schließlich als Stellvertreter des Hauptthemas selbst,
dessen eigentlichen Auftritt Bruckner sich für die eigentliche
Themenüberlagerung aufgespart zu haben schien. Dies machte
auch Sinn im Hinblick auf das Finale der Achten Sinfonie: Dort
hatte sich Bruckner genötigt gesehen, am Ende der Exposition
zunächst den wiederholten Rhythmus des Kopfsatz-Hauptthemas
in den Hörnern einzuführen und sodann das gesamte
Hauptthema vor der Coda als Königsauftritt zu inszenieren,
um dem Hörer überhaupt erst zu ermöglichen, in
der viel gepriesenen Themenüberlagerung am Satzende den
Rhythmus des Hauptthemas auch nachvollziehen zu können.
Es gibt dort aber anders als im Finale der Neunten keinen Prozess
des Herankomponierens durch Mutationsprozesse von Teilmotiven.
Außerdem täuscht die Schlußinszenierung in
der Achten darüber hinweg, daß es sich nicht wirklich
um eine Überlagerung der vollständigen Themen handelte,
sondern nurmehr um deren Köpfe, noch dazu in einer sehr
lapidaren Dur-Variante. Bemerkenswerterweise läßt
aber die Faktur der Satz-Hauptthemen der Neunten im Gegensatz
dazu eine vollständige kontrapunktische Überlagerung
zu. Im Nachhinein wirken diese vier Themen sogar regelrecht
auf ihre Überlagerung hingeplant, ähnlich wie in der
Fünften Sinfonie, wo in der Fuge das Finale-Fugenthema
und der Choral einerseits, in der Coda das Fugenthema und das
Hauptthema des ersten Satzes andrerseits kontrapunktisch vereinigt
werden. Auch in diesem Sinne wäre mit diesem folglich in
der Aufführungsfassung realisierten Kern in der Coda ein
Gipfel thematischer Kombinationskunst erreicht.
Der Beginn der Coda (ÜP, S. 41, I / SC: 555) greift nachdrücklich
ein letztes Mal das Sündenfall-Motiv auf, doch wieder in
Umkehrung, aufwärts und überwindend: Die Versuchung
tappt nurmehr ziellos umher, die Teufelsintervalle kreisen in
sich selbst gefangen, und auch der ,Passus duriusculus‘
als Kern des Hauptthemas, nun im ,Todesverkündigungs‘-Rhythmus
der Achten, kann nichts mehr ausrichten: Wie könnte man
im Sinne alter kirchenmusikalischer Semantik eindrucksvoller
in Töne malen, daß der Tod seine Macht verliert?
Zugleich werden die noch nicht beendeten Prozesse des Herankomponierens
an das Hauptthema des Kopfsatzes noch weiter verdichtet, geradezu
in der Art eines soghaften ,Schwarzen Lochs‘. Die heute
in den Skizzen nicht mehr auffindbare, aber möglicherweise
von Bruckner anvisierte, von Augenzeugen immerhin verbal überlieferte
Themenüberlagerung (SC: 583) ist – abgesehen von
den obigen Überlegungen – vor allem auch deshalb
so wahrscheinlich, weil hier in der Synthese aller vollständigen
Themen die menschliche Erkenntnisfähigkeit höchsten
Ausdruck findet. Hier könnten die im musikalischen Material
vielseitig zum Ausdruck kommenden Ängste endgültig
überwunden werden. Das Adagio-Thema, höchster Aufschrei
des Schmerzes, unterwürfe sich nicht nur dem Walten des
göttlichen Prinzips, sondern ginge regelrecht im Göttlichen
auf – indem es zusammenfiele mit Gottes Wort (Hauptthema
des ersten Satzes), Gottes Allmacht (Scherzo-Thema) und Ordnung
(Fugenthema).